Das Aralsee-Syndrom

Umweltdegradation durch großräumige Naturraumgestaltung

Gezielte Eingriffe in den Wasserhaushalt wurden und werden vom Menschen zur Energiegewinnung, Nahrungs-mittelerzeugung, Hochwassersicherung und Wasserspeicherung vorgenommen. In diesem Jahrhundert veränderten großskalige Bewässerungsprojekte und vor allem die großen, meist multifunktionalen Dammbauten den Wasserhaushalt in großem Maßstab. Die Anzahl der Staudämme mit einer Dammhöhe über 15 m stieg seit 1950 auf ca. 40.000 an (ICOLD, mündliche Mitteilung, 1997). Die Fläche der Stauseen beträgt weltweit ca. 400.000 km². Dämme beeinflussen das Abflußregime von Landflächen in erheblichem Maße: 77% des Abflusses in Nordamerika, Europa und der ehemaligen Sowetunion werden durch Dammbauten oder andere große Wasserbaumaßnahmen verändert (Dynesius und Nilsson, 1994).

Allgemeines

Das Aralsee-Syndrom beschreibt die Problematik von zentral geplanten, großtechnischen Wasserbauprojekten. Solche Projekte sind ambivalent: Einerseits stellen sie gewünschte zusätzliche Ressourcen bereit (Wasser für Ernährungssicherheit, erneuerbare Energie) oder schützen vorhandene Ressourcen (Hochwasserschutz), andererseits beeinflussen sie Umwelt und Gesellschaft nachteilig. Der Dimension der Projekte entsprechend, sind die Auswirkungen solcher Baumaßnahmen in der Regel nicht lokal oder regional begrenzt, sondern können auch internationale Ausmaße annehmen, allein schon weil die betroffenen Flußsysteme und deren Einzugsgebiete sehr groß und oft auch grenzüberschreitend sind. (McCully, 1996; Pearce, 1992; Goldsmith und Hildyard, 1984).

Geographische Lage der Aralsee





Austrocknungsfortschritt 1960 bis 2010



Tiefenmessung des Aral



Austrocknung der Aralsee



Wasserspezifischer Syndrommechanismus

Im Rahmen des Aralsee-Syndroms werden jene Umweltdegradationen erfaßt und analysiert, die durch eine großräumige Umgestaltung der Landschaft als unerwünschte Nebeneffekte von technischen Großprojekten (Staudammbau, Bewässe-rungsprojekte, Flußausbau usw.) entstehen können. Neben den unmittelbaren Beeinträchtigungen der Natur können indirekte Wirkungen auftreten, die für den Globalen Wandel relevant sein können.

Die sozialen Folgen (Zwangsumsiedlung, Gesundheits-schäden, internationale Konflikte usw.) können ih-rerseits mittelbare Umweltschädigungen nach sich ziehen. Um die komplex verflochtene Gesamtheit der für den Globalen Wandel relevanten Mechanismen dieses Syndroms zu beschreiben und zu analysieren, wird im folgenden das syndromspezifische Beziehungsgeflecht (Abb. D 3.4-1) entwickelt. Dabei können die erwähnten Sekundärfolgen auch durch Kopplungen zu anderen Syndromen zu Tage treten, wie sie in Abb. D 3.4-1 durch die „Wolken“ und die Nennung der jeweiligen Syndrome angedeutet sind.

Die Versalzung und Austrocknung des Aralsees illustriert den komplexen Fall einer folgenschweren ökologischen Katastrophe, die durch ein gigantisches Bewässerungsprojekt ausgelöst wurde (Létolle und Mainguet, 1996). Die Umsetzung dieser Planung führte in den letzten 30 Jahren zum Niedergang einer fruchtbaren, wald- und artenreichen Region, in der die Bevölkerung überwiegend von Fischfang und Landwirtschaft lebte, und endete in einer großflächigen Verwüstung mit katastrophalen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft (Giese, 1997).

Der Aralsee, ehemals viertgrößter Süßwassersee der Erde, liegt mit seinem 2 Mio. km 2 großen Einzugsgebiet in der ariden und semiariden Region Zentralasiens. Dieses Gebiet umschließt die noch jungen, unabhängigen Republiken Usbekistan, Tad-schikistan sowie Teile von Kasachstan, Kirgistan, Turkmenistan, Nord-Afghanistan und Nord-Iran. Der See wird überwiegend durch zwei Zuflüsse, den Amu Darya und Syr Darya, gespeist, die den Bergregionen Zentralasiens und Kasachstans entspringen.

Die Sowjetunion wollte mit diesem nur auf maximale landwirtschaftliche Erträge ausgerichteten Großprojekt in den 50er und 60er Jahren die Produktion erhöhen und neue Devisenquellen schaffen, vor allem durch den Export von Baumwolle. Untersuchungen über die Auswirkungen eines solchen Großprojekts in physikalischgeographischer, ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Hinsicht wurden nicht vorgenommen (Kasperson, 1995). Seit den 60er Jahren verminderte der Ausbau des Bewässungssystems für die drastisch vergrößerten Anbauflächen durch Anzapfen der natürlichen Zuflüsse des Aralsees den Zufluß in den See um 94% (FAO, 1996c). Dies wiederum veränderte die Wasserbilanz des Sees; der Salzgehalt erhöhte sich von 12 auf 33‰. Gleichzeitig verringerte sich das Volumen um zwei Drittel.

Die Fläche des Sees geht zurück und 30.000 km² salzhaltigen Seebodens wurden freigelegt. Die gesamte Flora und Fauna des Sees, mit 266 bekannten Wirbellosenarten, 24 Fischarten und 94 Arten höherer und niederer Pflanzen ist heute erloschen. 60.000 Arbeitsplätze gingen allein in der Fischerei verloren. Durch den Rückzug des Sees änderte sich das Klima im Aralgebiet. Die geringere Dämpfung von Temperaturschwankungen führte zu einem verstärkt kontinental geprägten Klima mit heißeren Sommern und kälteren Wintern. Stürme transportierten Salz vom ehemaligen Seegebiet in die umliegenden Regionen und verursachten dort Bodendegradation.

Hohe Grundwasserstände, wie sie durch die intensive Bewässerung auf 50–90% der ewirtschafteten Fläche entstanden (Kasperson, 1995), führen in ariden Gebieten zu Bodenversalzung aufgrund der hohen Verdunstung des Kapillarwassers und langfristig zu Einbußen im landwirtschaftlichen Ertrag und der Erntequalität. Aus der Übernutzung der Böden, die dem naturräumlichen Potential nicht entsprach, und dem exportorientierten Anbau von Baumwolle in Monokultur ergab sich ein weitreichendes Geflecht von sozialen und ökonomischen Folgeschäden. Die Gesundheit der inzwischen auf 50 Mio. Menschen angewachsenen Bevölkerung verschlechterte sich durch die abnehmende Qualität von Wasser und Umwelt. So führte der Kontakt mit pestizidverseuchtem Schmutzwasser (DDT, Entlaubungsmittel) vor allem in der arbeitsintensiven Baumwollproduktion zu einer bis zu 15fach erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Krebs, TBC, Fleckfieber ( Typhus) und anderen Erkrankungen bei den dort arbeitenden Frauen und Kindern (Glazowsky, 1995). Schätzungen der Folgekosten der Aralsee-Katastrophe zeigen, daß aus dem vormaligen ökonomischen Nutzen des Projekts mittlerweile 15–30 Mio

Quellen


© 2010 Dr. Peter Barth